„Willst du schnell gehen, geh allein. 

Willst du weit gehen, geh mit anderen.“

– Sprichwort aus Afrika

Sonnenstrahlen dringen durch die Akazienbäume. Meine Schritte sind schwer in der sandigen Düne der Atlantikküste. Hier und da stehen große, grün-gelbe Agaven am Wegesrand. Zu meiner Rechten schallt ungesehen die Brandung. Meine Maske habe ich in die Hosentasche gestopft. Salzige Luft, gemischt mit dem harzigen Duft von Nadelbäumen, weht um meine Nase. „Schau dir das an!“, entfährt es plötzlich Marc, als sich der Blick auf das weite Meer öffnet.

Wir haben die Großstadt Lissabon hinter uns gelassen. Die Stadt mit den unzähligen Hostels, gestrandeten Weltreisenden, Individualisten und unterschiedlichsten Backpackern. Jetzt sind wir auf dem sandigen Weg entlang der Küste von Portugal Richtung Süden. Doch nicht alleine wollen wir weiter gehen, sondern gemeinsam mit unseren Freunden aus der Schweiz, denn gemeinsam geht es sich weiter und auch leichter.

„We are human beings, not human doings“

– Stein am Jakobsweg

Bevor wir uns weiter zu Fuß aufgemacht haben, konnten wir die 5 Tage in Lissabon noch sehr genießen. Zwar mussten wir uns zunächst an die Fülle von Menschen, dem anderen Umgang mit Corona und dem Stress der Großstadt gewöhnen, dann jedoch konnten wir die schönen Seiten Lissabons genießen. 

Historische Tram in Lissabon
Streetart
Blühende Pracht im Sonnenschein
Blick über Alfama
Der Torre de Belém

Um nicht aus der Übung zu kommen haben wir viele Stadtrundgänge gemacht und sind zu Fuß mehrere Kilometer auf den harten Straßen der Stadt gelaufen. Neben dem ältesten Viertel der Stadt Namens Alfama, von dessen Terrassen man einen traumhaften Blick über den Fluss Tajo hat, durfte ein Besuch des Bezirks Belem auch nicht fehlen.

Abends genossen wir entweder die Ruhe auf unseren Zimmern oder die Abendsonne an den Ufern des Flusses Tajo vor dem Praça do Comércio.

Mosteiro dos Jerónimos
Farbenfrohe Häuser
Street Art in der Innenstadt
Fußgängerzone
Praça do Comércio.

Ungeachtet der aktuellen Situation sind viele junge Menschen unterwegs. In den Hostels sind neben anderen Pilgern, Weltreisende, Studenten auch einfache Touristen anzutreffen. Einige bleiben für wenige Tage, andere für einen Monat. Mancher nimmt die Corona Vorschriften sehr ernst, andere appellieren dagegen. Eine bunte Mischung, die in unseren Augen mal mehr, mal weniger verantwortlich mit der Situation umgeht. Wir sind froh, diese Stadt, die scheinbar so gegensätzlich zu unseren bisherigen Erfahrungen im Umgang mit Corona agiert, zu verlassen.

Landschaft nahe Charneca de Caparica

Gemeinsam mit Manu und Marc sind wir seit 3 Tagen zu Fuß unterwegs, um entlang der Küste auf den Fischerweg zu treffen. Dabei genieße ich es, mich auf Deutsch über die letzten Monate auszutauschen und zu hören, was andere in dieser Zeit erlebt haben. Wir reden über die guten und fröhlichen Momente. Über Erlebnisse mit anderen Pilgern, unsere Zeit in Moaña, wunderschönen Aussichten, gemütlichen Herbergen und die Weihnachtstage. Es tut gut Freunde an der Seite zu haben, die nachempfinden können, Weihnachten fern der Heimat und entlang des Weges zu erleben. Doch nicht nur die fröhlichen und tollen Momente werden geteilt. Volle Surfer-Hostels, Sehnsucht nach der Heimat und den Familien, kalte und ungemütliche Herbergen, bleiben ebenso negativ im Gedächtnis, wie die vielfachen Beschränkungen und Einschränkungen durch Corona und die Ungewissheit, was noch kommen wird. Dabei ist es gut, mit anderen den Weg in dieser Zeit zu gehen. Dadurch verändert sich die Situation um uns herum zwar nicht, doch wird vieles einfacher, wenn man es teilen kann.

Dass es einfacher geht, liegt zu einem großen Teil auch am Wetter. Seit Lissabon fühlen wir uns wie im Frühsommer. Während uns die Bilder von Winterlandschaften aus Deutschland erreichen und uns neidisch machen, sind wir dennoch glücklich regenfreie Tage zu erleben. Regen würde unseren Weg durch die Dünen noch mehr erschweren, als er durch den Sand bereits ist. 

Einsam auf langen Stränden

Unser Ziel ist es, bis zur ca. 400 Kilometer entfernten Stadt Faro an der Algarve zu wandern. Gemeinsam können wir uns Unterkünfte und Pensionen teilen, die sonst unser Budget sprengen würden. Ein Glück sind wir zu viert, denn wir haben festgestellt, dass wir den Jakobsweg mit seinen vergleichsweise günstigen Herbergen verlassen haben. Das gute Wetter, so hoffen wir, sollte es uns ermöglichen bereits in einigen Wochen wieder das Zelt sorgenfrei aufschlagen zu können. In der Zwischenzeit genießen wir die Unterkünfte, die sich so anders anfühlen, als unsere vorherigen Herbergen.

Entspannung auf der Terrasse
Ist das Urlaub? - in Sesimbra
Wäschetrocknen in der Unterkunft

Die Entscheidung den nebeligen Norden Spaniens zu verlassen, bereue ich nicht, denn hier wartet das Geräusch von tosenden Wellen, der Geschmack von Orangen und Zitronen und der Geruch von sonnenerhitzten Nadelwäldern auf mich. Auch sind die Strände menschenleer, sodass wir unsere Masken über weite Strecken abnehmen können und frei atmen dürfen.

Die Atlantikküste präsentiert sich uns von einer wunderschönen und wilden Seite. Pinienwälder weichen offenen Flächen, die in felsige Küsten oder Dörfer übergehen. Schreie von Möwen wechseln sich mit dem Rauschen des Meeres, dem Bellen von Hunden und dem Wind in den Bäumen ab. Den Weg müssen wir uns immer wieder selbst suchen, denn Wegweiser gibt es bis zum Beginn des Fischerweges (Fischerman‘s Trail) in Porto Covo nicht. Mal laufen wir oberhalb des Meeres, dann wieder etwas im Landesinneren.

Immer wieder muss ich mich daran erinnern, dass es Januar ist und nicht Frühsommer. Die weiten Blicke auf das schier endlose Meer wecken in mir Erinnerungen an vergangene Sommerurlaube im Süden Frankreichs oder an der Nordsee. Das Gefühl von Freiheit und Zwanglosigkeit erfüllt mich beim Anblick des geradlinigen Horizontes im saften Dunst des Atlantiks. Keine Bäume oder Hügel, nur die flache und unendliche Ebene, die sich zu meinen Füßen im Wechselspiel mit unserem Kontinent befindet. Unaufhörlich brandet Endlosigkeit auf die starren Grenzen der Küste. Ein Privileg, hier zu stehen und zwischen diesen Gewalten unterwegs zu sein.

Ich bin gespannt, welchen Menschen wir auf diesem Weg begegnen, was für Erfahrungen wir machen und welche Hindernisse sich uns in den Weg stellen werden.

Egal wie die nächsten Tage aussehen werden, wie sich Situationen ändern sollten, ich weiß: Die Welt ist gut und noch besser mit wunderbaren Menschen an meiner Seite.

16.01.2021 - Nahe Sesimbra

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