“Ich reise niemals ohne mein Tagebuch. 

Man sollte immer etwas Aufregendes zu lesen bei sich haben.“

– Oscar Wilde

Jeden Tag versuche ich, etwas in mein Tagebuch zu schreiben. Mal sind es nur einige Wörter, dann wieder lange Sätze. Manchmal male ich kleine Bildchen neben den Text, unterstreiche Wörter oder versuche auf andere Arten kreativ zu sein. Immer wieder ertappe ich mich dabei, Abschnitte vergangener Tage zu lesen. Dann bin ich erstaunt und glücklich, über die aufregenden Sachen und Begegnungen, die wir bisher erleben durften.

Leider waren die letzten Tage weniger aufregend und ereignisvoll. Wir mussten uns von Manu und Marc verabschieden, das frühsommerliche Wetter wich einer grauen, nasskalten Nebelwelt und von den so spektakulären Klippen, konnte man nur das brausen der unbarmherzigen Wellen hören. 

Genau die richtige Zeit also, es sich gemütlich zu machen und einen Blick in mein Tagebuch zu werfen. Ich möchte dich heute an 7 Tage aus 7 vergangenen Monaten unserer Reise mitnehmen.

„So gud isd di Weld.“

Emma Hollmann

Wandertag 18 – 23.07.2020 – Donnerstag

von der Rabenlay nach Treis-Karden

“Der Weg sollte viele Überraschungen für uns bereithalten:

 

Zunächst ging es für uns über einen wunderschön geschwungenen Abstieg von der Rabenlay Schutzhütte, durch Weinreben nach Hatzenport. Wir passierten die alte Kirche und suchten nach einer Gelegenheit unser Wasser aufzufüllen. Ein alter Mann, der gerade dabei war sein Hoftor zu öffnen, gab uns nicht nur Wasser, sondern beschrieb uns noch einige Besonderheiten des weiteren Weges. Er schien die Gegend sehr gut zu kennen.

Auf dem Weg zur Burg Eltz überholte uns dann der erste Jakobsweg-Pilger! Was für eine Überraschung! Natürlich haben wir ihn sofort angesprochen und uns über den Mosel-Camino unterhalten. Michael hat leider nicht viel Zeit und muss in drei Tagen den Weg schon wieder verlassen. Er hat sich super gefreut, uns getroffen zu haben. Natürlich wurde ein gemeinsames Foto gemacht.

Der erste Pilger auf unserem Weg.

Die berühmte Burg Eltz war ebenfalls eine Überraschung. Gestern erst haben wir erfahren, dass der Camino an ihr vorbeiführt. Leider ist hier alles voller Touristen, die dicht gedrängt in langen Schlangen vor dem Eingang warten. Ich habe mich einfach an allen vorbeigezogen und bin zum Ausgang rein, um einen Pilgerstempel abzuholen – mit Erfolg.“

Es ist schon sonderbar, Monate später diesen Eintrag zu lesen, in einer Zeit, in der Corona den Alltag von uns allen bestimmt. Man trifft nicht mehr „einfach so“ Menschen oder steht dicht gedrängt und ohne Masken, vor den Eingängen von Sehenswürdigkeiten.  

Rabenlay 2
Locke & Hut - 23.07.2020

Mehr zu unserer Zeit an der Mosel findest du unter:

Reich sein & Wasser wird Wein

Wandertag 36 – 15.08.2020 – Samstag 

von Gondrecourt nach Gillaumé

„Endlich eine Besserung. Wo? Überall!

Zum einen beim Wetter. Es hat ein bisschen abgekühlt auf 29°C und es ist bewölkt mit einem angenehmen Wind. Dadurch fällt das Laufen sehr viel leichter.

Dann ist da die Landschaft, die sich stark von der Umgebung der Mosel unterscheidet. Wir durchwandern fast endlose Meere aus abgeernteten Feldern, die einen eher an Steinwüsten oder Steppen erinnern.

Bei einigen stehen nur noch die Stoppeln, andere sind bereits neu gepflügt. Immer wieder sehe ich Staubwolken in der Entfernung, die von den Arbeiten der Bauern zeugen. Sie unterstreichen in mir den Eindruck, weit entfernt in karger Ödnis zu sein. Über diese Ödnis können wir immer wieder weit schauen. Am Horizont sind kleine Wäldchen zu erkennen, hier und da tauchen alte und stark verfallene Dörfer auf. Alles passt irgendwie zusammen.

Die größte Besserung ist jedoch, dass der große entzündete Stich von Frau Locke und der Ausschlag abheilt. Seit einigen Tagen bereitet er keine großen Probleme mehr. Auch das Knie schmerzt nicht mehr, obwohl sie die Bandage seit gestern nicht mehr getragen hat.

Jetzt sitzen wir vor dem Zelt in einem kleinen Wäldchen hinter Gillaume und genießen die „freie“ Zeit. Am Monatg beginnt in Deutschland wieder die Schule. Ein seltsamer Gedanke fernab in Frankreich.“

Locke & Hut - 15.08.2020

Mehr zu unserer Zeit an dieser Gegend findest du unter:

Stadtführung und leckeres Essen

Gewohnheiten unterwegs & Gäste in der Nacht

Wandertag 73 – 21.09.2020 – Montag

von Thiviers nach Sorges (Halle von Bauer)

„Philippine ist heute ab dem Supermarkt mit uns gelaufen. Wir waren super schnell unterwegs, da der Weg der Heeresstraße von Napoleon folgte. Diese führt schnurgerade durch die Landschaft. In dem kleinen Ort Sorges fing es heftigst an zu regnen und wir wurden freundlicherweise in das Rathaus gelassen. Dort konnten wir die nächste Nacht planen. Ein schwieriges Unterfangen, das nicht mit Erfolg gekrönt war. Philippine konnte uns zwar super dolmetschen, da sie aus Frankreich kommt, jedoch gab es keine günstigen Herbergen für uns.

Nach einem kurzen Besuch in der Kirche haben wir unsere letzte Option, ein kleines Café, besucht, um nach Obdach zu fragen. Die Frau war sehr hilfsbereit und erzählte uns von einem Bauern in der Nähe, der Pilger in einer Art Scheune schlafen lässt. Das hörte sich erstmal vielversprechend an. 

Auf dem Weg dorthin trafen wir Joel, der trotz seiner 65 Jahre mit Isomatte und Zelt unterwegs ist und ebenfalls einen Platz für die Nacht suchte. Ein Anruf beim Bauern beschaffte ihm einen Platz in „unserer Scheune“. Gemeinsam trotzten wir zwischen Traktoren und Getreidesilos dem Regen, kochten Couscous und erzählten von uns. Dabei übernahm Frau Locke das reden, da Joel nur Französisch spricht.“

Hier staune ich, wie sehr wir auf dem Weg behütet und versorgt wurden. Fremde Menschen wurden zu Gastgebern, Hilfesuchende zu Freunden. Überall sind Menschen hilfsbereit und verschließen sich nicht vor Menschen, die Hilfe benötigen. Es ist eine mutmachende und kraftgebende Erinnerung von diesem 73. Tag unserer Reise.

Locke & Hut - 21.09.2020

Mehr zu unserer Zeit in dieser Gegend findest du unter:

Regen nach 1500 Kilometern

Wandertag 89 – 07.10.2020 – Mittwoch

von Ostabat nach St. Jean pied de Port

„Was für ein Tag. Demotiviert begonnen. Mittags kein Regen mehr. Um 2 Uhr in St. Jean pied de Port angekommen. Erstaunlich viele Pilger hier. Irgendwie Stressig – Unterkunft beziehen – einkaufen – andere Pilger kennenlernen – Duschen – Kochen und essen mit Manu aus Spanien – Schuhe pflegen – Pilgermesse. 

Am Ende des Tages bin ich sehr fertig von allem. Morgen soll es über die Pyrenäen gehen. Ich bin gespannt wie es wird.

Haben heute noch einige Pilger kennengelernt/getroffen:

 

– Simon aus Frankreich teilt mit uns ein Zimmer und ist auf dem Rückweg. Hat uns Herbergen und Schlafplätze empfohlen.

 

– Australierin, die mit Yogamatte und Hängematte den Camino gehen möchte. Sie ist sehr motiviert und beginnt heute. Etwas zu motiviert für meinen Geschmack.

 

– Manu und Marc aus der Schweiz haben uns zur Pilgermesse eingeladen. Danach haben wir noch ein kurzes Gespräch geführt. Sie sind wie wir mit Zelt und voller Ausrüstung aus der Schweiz gestartet. Vielleicht sehen wir sie wieder.

Irgendwie seltsam jetzt hier zu sein. Es ist 10:15 Uhr. Wir werden jetzt schlafen. 

Buen Camino Pilger aller Länder!“

Locke & Hut - 07.10.2020

Mehr zu unserer Zeit in den Pyrenäen findest du unter:

Lichtblick im Regen & Von Grenze zu Grenze

Wandertag 104 – 22.10.2020 – Donnerstag

von Hornillos nach Hontanas

“Um 9 Uhr haben wir mit Manu und Marc den kleinen Ort Hornillos hinter uns gelassen und uns im Sonnenschein in die einseitige Landschaft der Meseta begeben. Dabei zeigt sich zu unserer Freude hier und da frisches Grün auf den Feldern und sorgt für farbige Spuren. Nach 10 Kilometern taucht wie aus dem Nichts das kleine Dörfchen Hontanas auf. Der Turm der Kirche taucht aus der Senke auf, gefolgt von der weißen Kuppel des Kirchendaches. Weiß vor eintönigem Braun.

Dann folgen die Dächer entlang der Straße. Die kleine Straße bzw. Gasse zieht sich durch den Ort, wie in einer Westernstadt, bis hin zur Kirche. Aus dieser dringen liebliche Melodien, die vertraut klingen. Das offene Kirchenportal offenbart nicht nur eine geöffnete Kirche mit wunderbarem Altar, sondern auch einen Tisch mit Tee, Kaffee, Gebäck, Bonbons, Gästebuch, Stempel und Bibeln in allen Sprachen. Die vertraute Musik stammt aus Taizé – es läuft Laudate Omnes Gentes. Was für ein wunderbarer Ort! Eine Oase für uns!“

Wenn ich daran denke, wie dieser Ort zu einer Oase für uns wurde, muss ich immer noch strahlen.

Locke & Hut - 22.10.2020

Mehr zu unserer Zeit in Hontanas findest du unter:

Eine seltene Blume

57 Tage in Moaña – 06.11.2020 – 01.01.2021

Mehr zu unserer Zeit in Moaña findest du unter:

Langsames Leben & Der Platz in deinem Herzen

Wandertag 141 – 25.01.2021 – Montag

von Vila Nova nach Zambujeira

“Seltsam, wieder nur zu zweit unterwegs zu sein. Ohne Manu und Marc ist der Weg doch anders. Wir sind im Nieselregen gestartet und wussten erstmal nicht, was wir reden sollten – es war so ungewohnt. Nach kurzer Zeit war dann jedoch alles wieder beim Alten. Der Weg war kurz, aber schön. Zwar war es den ganzen Tag bewölkt, dafür haben wir viele Störche gesehen, die in ihren Nestern auf den Klippen saßen. 

Leider führte der Weg auch große Teile abseits der Küste, sodass nicht viel in meiner Erinnerung blieb. Für die nächsten Tage ist Nebel und Regen gemeldet, sodass der Weg wahrscheinlich nicht seine ganze Schönheit für uns entfalten kann. Dafür sollten wir das Krachen der Wellen gegen die Klippen umso lauter wahrnehmen, wenn der Wind zunimmt.“

Locke & Hut - 25.01.2021

Da bin ich nun. Die letzten fünf Tage waren tatsächlich mehr ein Stochern im Nebel, als genussvolles Laufen. Wir haben beschlossen das schlechte Wetter in Vila do Bispo auszusitzen und einige Tage zu pausieren, bis sich das Wetter verbessert. In der Zwischenzeit wollen wir Planen und überlegen, wie es für uns in der aktuellen Situation in Portugal weitergeht. Ich bin gespannt und lese in der Zwischenzeit in meinen Tagebüchern, denn da gibt es viel Aufregendes zu lesen.

Schreibst du Tagebuch? Was hältst du täglich fest?

29.01.2021

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