„In jeder Minute, die du im Ärger verbringst,
versäumst du 60 glückliche Sekunden deines Leben.“
Albert Schweitzer
Meistens bin ich eigentlich ganz glücklich. Ab und an leider nicht. Vielleicht ist dieses „ab und an“ doch eher wie ein „öfters“ oder „oft“. Um ehrlich zu sein, war ich an vielen Tagen mehr mit dem Ärger beschäftigt, als mit dem Glücklichsein.
Zu Beginn hatte dieser Ärger eine sehr natürliche Ursache:
Mein Knie machte ab dem ersten Tag im Rothaargebirge große Probleme. Nach einer Woche und einem Arztbesuch später stellte sich heraus, dass die Ursache angeboren ist. Meine Kniescheibe springt bei großer Belastung heraus und verursacht starke Schmerzen. Die verschriebene Bandage hat geholfen dieses Ärgernis zu bändigen.
Mittlerweile bin ich unglaublich glücklich und dankbar, dass ich sogar ohne Bandage keine Schmerzen beim Laufen mehr habe. Dafür sind andere Ärgernisse hinzugekommen, die ganz anderer Art sind:
Während wir Hügel erklimmen, grenzenlose Ackerflächen durchwandern oder nach Supermärkten suchen, stelle ich mir immer wieder die Frage: „Warum mache ich das hier alles? Was soll das eigentlich? Warum führt der Weg eigentlich genau hier entlang!“
Diese letzte Frage, nach dem Sinn der Wegführung entmutigte mich gerade dann, wenn es galt steile Passagen zu bewältigen. Es ärgerte mich bereits zu wissen, dass ich danach alles wieder absteigen würde, nur um erneut einen Hügel hinaufzugehen. Ich konnte mich nicht über das Erreichte freuen, da es mich bereits frustrierte, wieder hinabsteigen zu müssen. Vor allem wenn der nächste Anstieg bereits in Sicht war, wurde dieser Frust noch größer. Meine Stimmung kippte von dem einen auf den anderen Moment. Dabei war ich mir bewusst, dass die Wegführung Sinn macht. Dennoch war ich frustriert…
Dieser Frust stellte sich zum Teil bereits am Morgen ein, wenn ich über das Höhenprofil Bescheid wusste. Es ist Herrn Hut und seiner unerschütterlichen guten Laune zu verdanken, dass ich mich immer wieder auf die Dinge am Wegesrand konzentrieren und das Hier und Jetzt genießen konnte.
Die Etappe nach Vézelay wurde zu einem Wendepunkt dieser Gedanken. Ich war wieder einmal frustriert und ärgerte mich darüber, dass wir am Ende einen steilen Berg hinaufsteigen mussten. Gedanken des Versagens gingen mir durch den Kopf. Ich war mir nicht sicher, ob ich den Anstieg schaffen konnte. Ich zweifelte an mir selbst und meinen Fähigkeiten. Sogar das gesamte Vorhaben, unsere Pilgerung nach Santiago de Compostela, zweifelte ich an. Die schöne Landschaft um mich herum verblasste und der Ärger und Frust übernahmen wieder das Ruder.
Zum Glück bin ich nicht alleine unterwegs. Herr Hut stellte mich ca. 10 Kilometer vor Vézelay zur Rede und eröffnete mir einen vollkommen neuen Gedanken. Meine Selbstzweifel im Alltag mit einer neuen, unbekannten Arbeitsstelle oder neuen Menschen, haben viel mit meinem Umgang mit den Hügeln des Weges zu tun. Unbekanntes macht mir Sorgen. Unbekanntes wächst für mich zu einer unvorstellbaren Größe heran, die meinen Blick auf das Jetzt verstellt.
Mit dem Bewusstsein über den bereits zurückgelegten Weg, die bereits erklommenen Hügel, ging ich die nächsten Kilometer. Meine Gedanken richteten sich vom Anstieg nach Vézelay auf die Schönheit des Waldes, das Spiel der Schmetterlinge oder den majestätischen Bewegungen der Greifvögel. Ich freute mich über den Weg, den ich in diesem Augenblick ging. Vor mir sprangen rote, blaue und bunte Grashüpfer wie ein freudiges Feuerwerk empor. Der Frust war noch da, aber er spielte keine große Rolle mehr, da der Weg zu schön war, um sich dem Ärger hinzugeben. Glücklich ging es bis kurz vor Vèzelay.
Dann sah ich den steilen Anstieg. Weg waren die Grashüpfer, die Greifvögel, der schöne Wald. Doch neben den Selbstzweifel war dort auch die Gewissheit, dass ich diesen Anstieg schaffen werde.
Ich packte meine Wanderstöcke und zum Rhythmus von „Hey, Pippi Langstrumpf…“ ging es empor. Nach der letzten Linkskurve sah ich die ersten Steine der Mauer, dieser atemberaubenden Stadt und mir kamen direkt die Tränen. „Ich habe es geschafft.“ Ich blickte zurück und sah Herrn Hut, der mir freudestrahlend entgegenlief, er nahm mich in den Arm und ermutigte mich, noch bis zur Basilika zu gehen.
Dieses Gefühl werde ich nie vergessen.
Jeden Tag werde ich hier ein bisschen weiter aus meiner Komfortzone gelockt und muss mich mit mir selbst beschäftigen. Am Ende des Tages weiß ich jedoch meistens, dass es sich gelohnt hat.
Der nächste Morgen in der Basilika, mit der Segnung und dem Gebet für die Pilger, bekräftigte nochmal das, was ich am Tag zuvor erlebt hatte. Für mich waren diese beiden Tage, wirklich Tage der Erkenntnisse.
Hielt dieses Hochgefühl an?
Kamen die Zweifel wieder?
Seither habe ich keine Probleme mit Anstiegen und Abstiegen. Klar sind sie manchmal doof oder irgendwie unnötig, aber sie übermannen mich nicht wie vorher. Stattdessen fühle ich mich gestärkt mit jeder Hügelkuppe, die ich erreiche.
Es wird mit Sicherheit Etappen und Tage geben, an denen mir das Laufen schwer fallen wird, aber ich möchte diese einschneidenden Erlebnisse rund um Vézelay nicht mehr vergessen!
Wenn mich mir anschaue wie weit wir schon gelaufen sind, dann bin ich mir mittlerweile sicher, dass ich es auch über Santiago hinaus schaffen werde!
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Hallo! Locke,
sehr schöner Austausch, ich habe keine dieser Wunden bemerkt,
das Lächeln war viel sichtbarer,
gute Fortsetzung
“ Schöne Menschen treffen notwendigerweise gute Menschen “
Bonne route @ + Franz
Manchmal überwiegen die Freuden dann einfach doch! Danke für deine lieben aufbauenden Worte. Wir denken immer wieder an dich und hoffen weitere so hilfsbereite Menschen wie dich am Wegesrand zu treffen.