„Leben wird nicht gemessen an der Zahl von Atemzügen,

die wir nehmen;
sondern an den Momenten,
die uns den Atem nehmen.“

Maya Angelou

Andächtige Stille umgibt mich. Die wenigen Menschen auf den hölzernen Stühlen wirken klein und zerstreut. Zu majestätisch erheben sich die weißen Mauern und Säulen um die kleine Schar. Schwach fällt das Licht des Morgens durch die hohen Fenster und erleuchten den schlichten Altar der Basilika. Unsere Stiefel knarzen ungewöhnlich laut, als wir den Mittelgang entlanggehen und einige Stühle im vorderen Drittel ansteuern. Mir war nicht bewusst, wie laut es ist, einen Rucksack in einem leeren Kirchengebäude abzusetzen. Danach wieder Stille. Mein Blick fällt auf die in weiß gekleideten Nonnen und Mönche von Vézelay. Sie sitzen regungslos mit dem Rücken zu uns vor dem Altar.

Punkt 8 Uhr erfüllt das Licht von vielen kleinen Lampen den Altar und die Gänge um uns herum. Zeitgleich erheben sich die Nonnen und Mönche und ein engelsgleicher Gesang durchdringt die Stille. Irgendwo in den Tiefen der Basilika wird der Gesang verstärkt und zu uns zurückgetragen. Ich stehe andächtig da und lausche der mir unbekannten Sprache. Auch wenn ich kein Wort der Lieder verstehe, so fesselt mich allein das harmonische Zusammenspiel der hohen und tiefen Töne. Es wird ein Bibeltext vorgelesen, danach wieder Gesang. Dann dürfen die Pilger nach vorne kommen.

Zu viert stehen wir schließlich direkt zwischen den Nonnen und Mönchen. Einer der Mönche spricht ein Gebet: Er bittet um Bewahrung und einen gut Weg für uns nach Santiago de Compostella. Danach spricht er einen Segen. Mit seinem „Amen“ erheben sich um uns herum ein zarter Gesang. Die Basilika verstärkt diesen, ganz so als würden nicht zehn, sondern hundert Nonnen und Mönche Gott loben. Ich schloss die Augen, hielt den Atem an und ignorierte meine Gänsehaut, um mich ganz auf die Stimmen zu konzentrieren.

Vézelay – endlich sind wir angekommen! So lange sind wir auf dieses große Zwischenziel zugegangen und jetzt sind wir da. Es fühlt sich ein bisschen an wie in der kleinen Kirche von Villmar, als aus uns Wanderern Pilger wurden

 

Das Kloster von Vézelay thront auf einem Felsen über den umliegenden Feldern und Weiden. Schon von Weitem kann man die weißen Türme der Basilika Saint Marie Madeleine sehen. Dadurch steigt zum einen die Vorfreude, zum anderen kann einen der Aufstieg hinauf zum Kloster bereits beim Anblick entmutigen. So muss es auch vielen Pilgern vor uns ergangen sein, denn Vézelay war seit jeher für die Pilger von großer Bedeutung.

Unser Quartier für die Nacht bezogen wir in der Pilger-Herberge der Basilika. Eine einfache, aber sehr ordentliche Herberge, die für einen Pilger alles nötige bietet: ein Bett, eine Dusche und eine Küche. Unseren alten Wanderführer vom Rother Verlag * konnten wir hier nun endlich zuklappen und den neuen Outdoor Pilgerführer* aufschlagen, denn ab jetzt sind wir auf der Via Lemovicensis von Vézelay nach Saint-Jean-Pied-de-Port unterwegs. 

Küche der Pilgerherberge

In der Herberge trafen wir nach vielen Wochen auch endlich auf andere Pilger. Mit Rens aus den Niederlanden haben wir gemeinsam das Abendessen geteilt und uns über den bisherigen Weg ausgetauscht. Er läuft nicht den Jakobsweg, sondern die Tour von Vézelay, einen 150km langen Rundweg. Der gemeinsame Abend verging leider viel zu schnell bei Bier und guten Gesprächen.

Am nächsten Morgen nach dem Pilgersegen trafen wir ihn vor der Basilika zum Glück wieder. Er war im Gespräch mit zwei Volunteers einer Herberge auf dem Weg. Freudig strahlend berichtete er uns, dass er die Herberge für uns zur Hälfte bezahlt hat und die andere Hälfte die Volunteers übernehmen. Somit wurden wir an diesem Morgen in kürzester Zeit gleich doppelt gesegnet!

Zum Abschied schenke er uns noch zwei Quiche vom Bäcker, ein fröhliches Lächeln und wünschte uns einen guten weiteren Weg. Die Quiche ließen wir uns zur Mittagszeit im Schatten am Wegesrand genüsslich schmecken.

Strahlende Pilger

Die private Herberge „L‘Esprit du Chemin“ ist eine Oase für jeden Pilger auf dem Weg von Vézelay Richtung Santiago de Compostela. Das liebevoll hergerichtete alte Haus, mit dem wunderschönen Garten schafft die perfekte Atmosphäre, um sich nach einem anstrengenden Tag zu entspannen. Dies wird unterstützt durch ein wunderbares gemeinsames Abendessen und einer angenehmen Nacht in bequemen Betten. Das Frühstück am nächsten Morgen stärkt für den weiteren Weg. Es ist genial, dass es Menschen gibt, die eine Pilgerherberge in den kleinen Dörfern des Weges eröffnen und den Pilgern auf diese Weise dienen. Danke!

Danke Rens, dass wir diese schöne Herberge dank deiner Hilfe erleben und genießen konnten! Unser Camino wäre um eine wunderbare Erfahrung ärmer gewesen ohne dich!

In der Herberge haben wir weitere Pilger getroffen: Anja und Mechthild aus Deutschland, die gemeinsam auf dem Camino unterwegs sind.

 

So sind wir endlich nicht mehr alleine auf dem Camino unterwegs, sondern können in den Herbergen entlang des Weges die Gemeinschaft mit anderen Pilgern genießen.

Wir sind sehr gespannt, wie der neue Wegabschnitt, die Via Lemovicensis sich uns präsentieren wird. 

 

Auf jedenfall sind wir gestärkt und mit neuen Erkenntnissen von Vézelay gestartet! 

Locke & Hut am 28.08.2020

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Dieser Beitrag hat 3 Kommentare

  1. Rens

    Glad that your stay at l’Esprit du Chemin has been a good experience. Don’t forget to thank Frans and Juliët. 😉

  2. schilling

    Congratulations Locke and Hut for arriving in Vezelay! We saw you in Champignol , in our garden.
    We are happy you did it! And much more…
    christine

    1. Herr Hut

      Hi Christine,
      thank you again for beeing a real help on our camino. We enjoyed the little rest in your garden a lot! We hope you had some more relaxing days before heading back home.

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