„Simba: ‚Der Wind wechselt wohl seine Richtung.‘

Rafiki: ‚Wechsel ist gut.‘
Simba: ‚Ja, aber nicht so einfach.’“

– König der Löwen

Wechsel und Veränderungen sind nicht so einfach. Auf manche Wechsel haben wir keinen Einfluss: Sei es der Wind, das Wetter oder die Jahreszeiten. Es geschieht, ohne dass wir etwas daran ändern könnten. Wir können diesem Wechsel entgegensehen und uns darauf einstellen, manchmal ist dies einfach, manchmal nicht.

Andere Wechsel haben wir selbst in der Hand, führen sie selbst herbei oder lassen sie geschehen. Wir müssen hier in Spanien einige Entscheidungen treffen, die zu einem Wechsel führen. Ein Wechsel an Menschen, Orten und Grenzen. Keine Entscheidung ist eine einfache, immer findet Veränderung statt und ein Wechsel des Weges.

„Hoffe auf den Herrn,
sei Stark,

und dein Herz fasse Mut!“

– Psalm 27,14 (Bibel)

Wir sind in Leon. Schon allein das ist eigentlich unmöglich, da León geschlossen ist. Die Ein- und Ausreise sollte nicht möglich sein und dennoch sind wir hier; hineingelaufen auf unseren eigenen Füßen ohne Kontrollen oder Erklärungen. 

León ist die Hauptstadt der Region „León“ und mit über 120.000 Einwohnern eine der größeren Städte auf unserem Jakobsweg. Da die Stadt von Corona schwer getroffen wurde, verhängte die Regierung ein Ein- und Ausreiseverbot. Für uns nach Burgos nichts Neues. Immer wieder hören wir von Städten, die aufgrund der aktuellen Situation geschlossen wurden. Trotz dieser Schließung können wir uns in Leon frei bewegen, das Touristenbüro aufsuchen, die Kathedrale besuchen und durch die engen Gassen der Altstadt schlendern. 

Kathedrale in León
Rathaus und Marktplatz in León

Wir beschließen, einen Tag Pause zu machen und uns von der eintönigen Meseta der vergangenen Woche zu erholen. Die Herberge bietet sich hierfür an und so verbringen wir den Tag mit entspannten Tätigkeiten: Kochen, Tagebuch schreiben, Musik hören, Wäsche waschen, Zeitsprung (Podcast) hören und schlafen. 

Irgendwann in dieser schönen Atmosphäre erreicht uns die beunruhigende Nachricht, dass Die Region León ihre Grenzen zu den anderen Regionen schließen möchte. Dies bedeutet für uns, dass wir nicht in unsere Zielregion Galicien im Nordwesten Spaniens gelangen können. 

Erneut bekommen wir die Auswirkungen von Corona, zu spüren. Was tun? Einfach weiterlaufen und darauf hoffen, dass wir als Pilger die Erlaubnis erhalten trotzdem die Grenze zu passieren? Einen Bus nach Galicien nehmen und somit ca. 100 Kilometer überspringen? Keine leichte Entscheidung für uns und unsere Schweizer Freunde.  

Wir beschließen schließlich unseren Weg fortzusetzen durch die letzten Ausläufer der Meseta hinter León. Unterwegs vergessen wir die Situation um uns herum komplett. Zu beeindruckt sind wir von der sich verändernden Landschaft. Die Äcker verschwinden und hohes goldenes Steppengras lässt die Landschaft afrikanisch erscheinen. Die Sonne brennt und es fühlt sich wie ein Spätsommertag an, obwohl es doch bereits Ende Oktober ist. Dies ist kein Vergleich zu unserer Wanderung auf dem Forststeig im Elbsandstein-Gebirge. Damals war es Ende September und wir haben gefroren und die Kälte kroch in unsere Schlafsäcke. Jetzt genießen wir die Sonne Ende Oktober hier in Spanien und erleben auch vom Wetter, dass wir uns weit von Deutschland entfernt haben.

In der Herberge des kleinen Ortes „San Martin de Camino“ treffen wir auf ein spanisch – koreanisches Pärchen und erhalten neue Informationen bezüglich der aktuellen Situation. Es macht Angst, wenn man plötzlich mit neuen Fakten konfrontiert wird und die Krise einem persönlich in den Weg kommt. Zuvor hatten wir nicht viel von Corona gespürt. Herbergen waren geschlossen, doch der Weg war stets frei und begehbar. Jetzt heißt es plötzlich, dass der Weg gesperrt und eine Überschreitung der Grenze Konsequenzen nach sich ziehen kann. 

Lange können wir eine Entscheidung nicht hinauszögern. Die Grenze soll am nächste Tag (Freitag) um 14 Uhr geschlossen werden. Ein letzter Bus würde Freitag von Astorga (ca. 25 Kilometer entfernt von uns) nach Galicien fahren. Ein erneuter Wechsel der Situation. Wir beschließen schweren Herzens, dass wir die letzten 100 Kilometer nach Galicien mit dem Bus fahren sollten. Manu und Marc aus der Schweiz wollen es zu Fuß versuchen. Abends um halb 10 steht plötzlich fest, dass wir nach über zwei Wochen des gemeinsamen Pilgerns getrennte Wege gehen werden. Es fällt uns schwer, unsere neu gewonnenen Freunde zurückzulassen. Hoffentlich sehen wir sie in Santiago wieder.

Schatten im Morgenlicht: Erinnerungen an gute Freunde.

Um 5:30 Uhr geht mein Wecker und wir sind um 6:00 Uhr vor der Herberge auf dem Camino. 25 Kilometer in 7 Stunden liegen vor uns. 25 Kilometer durch eine sich schnell verändernde Landschaft. Aus dem goldenen Gras werden erneut Felder auf rotem Boden, dann Nadelwälder und schließlich Mischwälder. Der Weg überwindet mehrere Hügel, führt durch kleine Dörfer und über die berühmte, 300 Meter lange Brücke „Puente de Orbigo“. Schließlich erreichen wir rechtzeitig Astorga mit seiner verschiedenfarbigen Kathedrale und dem Bischofspalast von Gaudi. Ich mache schnell einige Bilder, doch wir sind zu erschöpft, um  lange durch die Stadt zu laufen. Müde essen wir am Busbahnhof zu Mittag und warten.

Bischofspalast
Frontseite der Kathedrale

Mit etwas Verspätung fahren wir mit einigen anderen Reisenden und dem spanisch – koreanischen Pärchen von Astorga Richtung Galicien ab. Während den zwei Stunden der Fahrt betrachten wir staunend aus dem Fenster, wie sich die Landschaft rasend schnell verändert. Die Hügel erheben sich immer höher und schon bald fahren wir durch die Ausläufer des Kantarischen Gebirges.  

Es ist seltsam zu sehen, dass sich die Landschaft so schnell ändert. Ich sitze und dennoch rast draußen die Landschaft vorbei. Eine Szene nach der anderen. Zu schnell, um sie richtig zu erfassen. Ein enormer Kontrast zu den letzten Monaten. Ich merke, wie genüsslich ich meine Umgebung genießen konnte, während ich Schritt für Schritt vorwärts lief. Ich konnte staunen, stehenbleiben, die Eindrücke auf mich wirken lassen. Jetzt bin ich schon nach Kurzem überfordert und müde von dem Feuerwerk an immer neuen Bilder vor dem Fenster. 

Irgendwann hält der Bus an und wir können aussteigen. Irgendwo haben wir die Grenze überquert ohne es zu bemerken. Etwas benommen genieße ich es, kleine Schritte zu machen, dennnoch sind wir nicht am Ziel. Das kleine Dorf Ocebreiro liegt abgelegen etwa 300 Höhenmeter und 5 Kilometer Fußweg den Berg hinauf. 

Doch der Aufstieg hat gelohnt! 

Kein Nebel und perfekte Aussicht in Galicien.
Älteste Kirche am Weg aus dem 9. Jhd.
Das Dorf „O Cebreiro“

Zugleich denke ich an Manu und Marc. Werden sie den Weg schaffen? Werden sie es bis hierhin schaffen? Was sehen sie unterwegs? Was für Erfahrungen werden sie machen? Traurig über die fehlenden Kommentare von Marc machen wir uns auf den Weg zur Herberge. Wem werden wir dort begegnen? Welche neuen Pilger lernen wir kennen?

Bergwelt Galiciens
Ein neuer Pilger?
Kuhtrieb in Galicien

Wir sind glücklich, dass wir es nach Galicien geschafft haben. 2.414,6 Kilometer sind wir zu Fuß gegangen und haben viel gesehen, Menschen getroffen und immer wieder von schönen, wunderbaren Orten und Menschen Abschied nehmen müssen. 

Es steht immer ein Wechsel an  und nie fällt er einem leicht.

Wie gehst du mit Wechsel / Veränderungen um?

Fallen sie dir leicht oder schwer?

 

 

Wir haben unsere Reiseroute aktualisiert.

Dort findest du unsere zurückgelegte Wegstrecke und unsere Ausgaben.

31.10.2020

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