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  • Beitrag veröffentlicht:27. September 2020

„ Irgendwo muß man ja wohl sein,

solange man am Leben ist.“

– B. Travern in Abenteuer-Geschichten

Während ich gehe, schaue ich mehr nach links und nach rechts als geradeaus. Wo bin ich hier? Die kleinen Gassen zwischen den hohen, alten Häusern aus hellem Stein sind zu interessant. Überall verstecken sich kleine Läden, Cafés, Bars oder Wohnhäuser. Alte Türen wechseln sich mit großen Schaufenstern ab. Ich könnte an jedem Schaufenster stehenbleiben und die Kleinigkeiten bewundern, die dort ausgestellt sind. Dabei vergesse ich das eine um das andere mal nach der Muschel Ausschau zu halten. Ein Glück ist Herr Hut ein aufmerksamer Betrachter und besitzt einen guten Orientierungssinn, sonst hätten wir die Kathedrale im Herzen von Périgueux wahrscheinlich nicht erreicht. Denn ich wusste nicht genau, wo wir sind. Irgendwo in Frankreich eben.

„Du kommst nirgends an,

wenn du nur an sonnigen Tagen gehst.“

– Sprichwort aus den USA

Bei größeren Städten sind wir vorsichtig mit der Vorfreude geworden. Zu oft haben sich schön beschriebene Ortschaften als heruntergekommen und schmutzig herausgestellt. Zudem erfasst uns in Großstädten oft ein Gefühl der Hektik und der Rastlosigkeit. Zu viele Menschen wollen von einem zum anderen Ort in kürzester Zeit. Jeder möchte irgendwo hin und das möglichst schnell. Geschäfte versuchen einem die unterschiedlichsten Dinge zu verkaufen, die man eigentlich nicht braucht (vor allem wir auf dem Camino nicht). Man benötigt so wenig, wenn man zu Fuß unterwegs ist! Das ist schon etwas verrückt. Alles was wir benötigen passt in einen Rucksack. Alles andere ist für uns Luxus.

Kathedrale von Périgueux

In Périgueux erfasste uns zunächst ein ähnliches Gefühl. Dieses wurde jedoch schnell von einem Gefühl des Staunens abgelöst. Unsere Schritte wurden langsamer und unsere Blicke genauer. Zunächst auf die schönen Geschäfte, dann in die Seitengassen und schließlich auf die Architektur der Stadt. Der historische Stadtkern lädt einem zum Schlendern ein. 

Die engen Gassen winden und verzweigen sich auf immer neue Weisen. Treppen führen hinauf und hinunter. Im Zentrum dieses Spiels steht als fester Punkt die Kathedrale Saint-Front, die mit ihren vielen Kuppeln wie eine Kathedrale aus dem byzantinischen Stil wirkt.

In einer solch prächtigen Stadt gönnten wir uns eine besondere Herberge. Privatpersonen in Périgueux haben sich zusammengetan und beherbergen Pilger auf Spendenbasis in ihren eigenen Wohnungen.

 

Nicht weit entfernt von der Kathedrale und dem Fluss Isle  haben uns Sue und Oliver die Tür zu ihrer englischen Wohnung geöffnet. Mit ihnen verbrachten wir einen wunderbaren Abend bei einem vorzüglichen Abendessen und mehreren Gläsern Wein. Wir hätten bis Mitternacht dort zusammensitzen können, hätte uns am nächsten Morgen nicht wieder der Camino gerufen. 

Sue & Oliver, Locke & Hut
Leckeres Müsli
Geschäft in Périgueux

So ging es nach einem außergewöhnlich reichhaltigem und nicht sehr französischem Frühstück wieder auf den Camino. Mit Reichhaltig meine ich: Müsli mit frischem Obst (Himbeeren, Brombeeren, Feigen, Erdbeeren, Heidelbeeren), selbstgebackenen Brot mit selbstgemachter Marmelade, Erdnussbutter und Honig, sowie Frühstückseier, Tee und Kaffee. So gestärkt machte es uns nicht viel aus erst um 9 Uhr aufzubrechen, da wir definitiv keine Frühstückspause benötigen würden.

Eine reichhaltige Mahlzeit ganz anderer Art hatten wir auch einige Tage später in einer sogenannten Gite (Unterkunft). Zwar mussten wir hier 20€ pro Person für Übernachtung und Frühstück bezahlen, dies hat sich für uns jedoch gelohnt. Wir entkamen für eine Nacht nicht nur dem heftigen Gewitter, sondern konnten uns vor dem knisternden Kamin heimisch fühlen. Die Ferienwohnung teilten wir uns mit Philippine und drei Franzosen. Gemeinsam wurde Kniffel gespielt, Wäsche gewaschen und gekocht. In den Schränken fanden wir Nudeln, Reis und Tomatensauce, die ein sonderbares, aber leckeres Abendessen ergaben. Als Nachtisch wurde von Philippine mit Butter, Zucker, Milch und Mehl, köstliche Crêpes gezaubert. Mit Zucker und Kakaopulver rundeten diese die Mahlzeit perfekt ab.

Über Nacht trockneten dann unsere Sachen vor dem Kamin, während das Unwetter die Lichter im Haus flackern lies. (Die französischen Oberleitungen scheinen anfällig für Stürme zu sein.)

Egal wo wir uns befinden, wir treffen auf offenherzige Menschen, die für eine begrenzte Zeit zu unserer kleinen Familie werden. Sei es auf den Campingplätzen entlang des Weges, den Herbergen oder in privaten Wohnzimmern. Aus Fremden werden Vertraute, aus zuvor entfernten Wanderern Wegbegleiter. Man lernt sich kennen, kocht, isst und geht gemeinsam und sagt dann auf Wiedersehen, trifft sich erneut oder nie wieder.

Solange du am leben bist, bist du irgendwo. Egal wo du bist, sei da und nimm die Menschen und Gegenden um dich herum wahr. Kleinigkeiten können vieles verändern. Eine Tafel Schokolade, etwas Tee, ein Lächeln oder eine Einladung zum Abendessen können noch lange nachwirken.

An alle unsere bisherigen Lebensbegleiter: DANKE für diese wunderbare Zeit mit euch!

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Jürgen und Karin

    Ihr Lieben!
    Tatsächlich, Ihr habt es wahr gemacht: Ihr habt die Kekse 500 Kilometer mit Euch getragen bevor sie geöffnet wurden…. Hoffentlich haben Sie noch geschmeckt!
    Es ist so spannend, die wöchentlichen Berichte von Euren Erlebnissen zu lesen und auch die sehr stimmungsvollen Fotos dazu anzuschauen. Wir haben vielen unserer Freunde und Bekannten von Euch, Eurem Vorhaben und unserem zufälligen Zusammentreffen erzählt und damit auch bei ihnen Staunen und Bewunderung ausgelöst.
    Zwischenzeitlich sind seither 4 Wochen vergangen und jetzt seid Ihr schon beinahe in Spanien angelangt obwohl das Wetter Euch neuerdings nicht mehr so wohlgesonnen ist…
    Dann ist es umso wichtiger, auf wohlwollende und großherzige Menschen zu treffen. Und offensichtlich habt Ihr bereits viele von ihnen auf Eurem Camino getroffen, kennen- und auch schätzen gelernt. Dafür freuen wir uns mit Euch!
    Und es freut uns noch mehr, dass Ihr der Pandemie bisher getrotzt habt und gesund seid.
    Gerne würden wir Euch für die nächsten 500 Kilometer nochmals eine Packung Kekse als Motivation und Stärkung mitgeben, wahrscheinlich benötigt Ihr aber gar keine „Extramotivation“, sie kommt aus Euch selbst.
    Wir bewundern Euch!
    Lasst es Euch gut ergehen, wir freuen uns der Ferne auf Eure weiteren Berichte, bleibt gesund,
    Jürgen und Karin

    1. Herr Hut

      Hallo Karin und Jürgen,
      wie schön es ist, von euch zu hören! In dem Moment, als wir endlich die Kekse auspacken konnten, haben wir intensiv an unsere Tage in Nevers zurückgedacht und uns an das leckere Eis, den selbstgebackenen Kuchen und das entspannte Beisammensein erinnert. Wir sind die letzten Tage mit einem breiten Grinsen auf den Lippen durch Frankreich gelaufen, da wir es selbst kaum glauben können, dass wir in wenigen Tagen dieses Land komplett durchquert haben werden. Mit dem Wetter haben wir uns arrangiert und nach einer Woche im Regen, hat man sich auch an die Feuchtigkeit, die Nässe und die trübere Stimmung gewöhnt. Dafür schallen unsere Lieder unterwegs umso fröhlicher und lauter durch den Wald.
      Wir warten schon darauf, wann wir von eurer nächsten Reise erfahren werden und wünschen euch in Deutschland alles Gute und beste Gesundheit!
      Danke, dass ihr so offenherzig und aufmerksame Menschen seid! Ihr seid etwas Besonderes für uns!
      Franzi und Soehnke

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