„Mit Worten über Worte sprechen zu wollen, das ist,

als würde man versuchen,

mit einem Bleistift eben diesen Bleistift zu zeichnen,

und zwar auf dem Bleistift selbst.

Unmöglich. Verwirrend. Frustrierend.“

— Patrick Rothfuss, Der Name des Windes

Ich bin verwirrt. Ich bin frustriert. Ich bin hin und hergerissen. Es ist unmöglich einen Plan zu machen, der alle Wünsche vereint. Es ist unmöglich und doch versuchen wir es, Tag für Tag. Jeden Abend versuchen wir, unseren Weg durch das Corona-Chaos zu planen. Jeden Morgen stellen wir fest, dass wir kleine Änderungen vornehmen müssen, um an unser Ziel zu gelangen.

Doch an diesem Abend ist alles anders. Am Mittwochabend werden unsere bisherigen Pläne nach Santiago zu gelangen und anschließend den Weg nach Süden Richtung Vigo einzuschlagen durchkreuzt. Gefühle, Emotionen in mir und viele Fragen zwischen mir und Frau Locke. Das was wir wollen, scheint unmöglich geworden zu sein. Die Gefühle in uns sind nicht zu erklären, nicht zu beschreiben und doch muss eine Entscheidung getroffen werden.

„Ich komme immer irgendwo an,

indem ich von dort los gehe,
wo ich gerade war.“

– Christopher Robin in Winnie Puuh

Noch 67 Kilometer. Wir sind noch immer in dem Ort Palas de Rei und erhalten abends gegen 21 Uhr die Nachricht, dass am Freitagmittag verschiedene Regionen Galiziens in einen Lock-Down treten. Ein Überqueren dieser Grenzen ist dann nicht mehr erlaubt. Für uns würde dies bedeuten, dass wir von Santiago aus nicht mehr nach Süden reisen können.

Ende des Weges für uns?

Ein Anruf bei unseren Freunden bestätigt diese neue Information, sodass wir nun vor folgendem Probem stehen: 

Wir könnten weiterlaufen und Santiago de Compostela erreichen, die Urkunde über die zurückgelegte Strecke erhalten und ein Bild vor der Kathedrale machen. Dann wäre es jedoch ungewiss, ob wir es anschließend aus Santiago heraus zu unseren Freunden nach Vigo schaffen würden.

Eine andere Option wäre es, sich von unseren Freunden mit dem Auto abholen zu lassen, da derzeit die Grenzen noch offen und die Bewegungsfreiheit nicht eingeschränkt ist. Auf diese Weise würden wir sicher das Ziel unseres langen Weges erreichen, würden aber Santiago nicht sehen und die Urkunde nicht erhalten.

Als mir dies bewusst wird, brandet eine Welle von verschiedensten Emotionen und Gefühlen in meinem Innersten. Die unterschiedlichsten Gedanken regten sich und alles in mir fühlte sich schlecht an. Diesen Zustand kann ich nur schwer beschreiben. Alles schien sich an 24 Stunden zu entscheiden.  Hätten wir einen Tag mehr bis zum Lock-Down der Regionen, hätte alles perfekt funktioniert. So fehlen uns nach 120 Tagen des Laufens 24 Stunden. Frustrierend.

Ich möchte sowohl Santiago erreiche, als auch sicher zum Haus meiner besten Freunde gelangen. Ich möchte beides, doch das ist unmöglich. Wir müssen uns entscheiden, welchen Weg wir nehmen. 

An einen letzten rettenden Strohhalm klammernd entscheiden wir, dass wir am nächsten Tag die Polizei und das Pilgerbüro in Santiago anrufen. Sollten diese uns klare Anweisungen geben, werden wir uns an diese halten. So geht es für uns in eine ungewisse Nacht.

Der nächste Tag (Donnerstag) beginnt voller Elan. Sollten die Anrufe von unterwegs positiv ausfallen, liegt unser nächstes Etappenziel in 30 Kilometern Entfernung. Mit viel Motivation geht es auf den weichen kleinen Pfaden durch die galicische Traumwelt. Kleine Weiler werden durchschritten, Bäche überwunden und immer wieder das saftige Grün der steinumfassten Weiden bewundert. Um 11 Uhr dann die wichtigen Anrufe.

Schmale Pfade
Eukalyptus-Bäume
Alte Brücke kurz vor „Melide“
Dorfstraße in Galicien

Komplette Frustration! Sowohl die Polizei, als auch das Pilgerbüro teilen uns mit, dass wir nach Santiago hineinkommen, von dort uns aber auf schnellstem Wege aus dem Land herausbewegen müssen. Eine Erlaubnis, um zu unseren Freunden zu fahren gibt es nicht. Ebenso wären wir mit Erreichen von Santiago den Sonderstatus der Pilger los und dürften uns nicht mehr „frei“ bewegen.

Somit steht unsere Entscheidung fest:

Wir lassen uns noch heute abholen und fahren mit dem Auto zu unseren Freunden. Somit kommen vorerst keine neuen Stempel in unsere Pilgerpässe. Erst nach der „Corona-Zeit“ werden wir unsere Pilgerung nach Santiago fortsetzen und den Weg somit vollenden.

Locke‘s Pilgerausweise

Dort sind wir nun seit Donnerstagabend und verkraften diesen plötzlichen Wechsel des Ortes, des Essens und der Tagesabläufe. Wir sind an unserem ersten großen Ziel angekommen und gefühlt darüber hinausgeschossen. Diese abrupte Veränderung müssen wir nun verarbeiten. Von unserer neuen Bleibe werden wir nächste Woche berichten.

Was würdest du noch gerne über unseren Jakobsweg wissen?

 

Welche Fragen haben wir auf unserem Weg noch nicht beantwortet?

 

Schreibe deine Fragen in die Kommentare, damit wir sie im nächsten Beitrag beantworten können.

Danke!

Die letzten Tage waren turbulent und durch Corona auch deutlich teurer im Bezug auf die Herbergen. So sind wir sehr dankbar für eure Unterstützung!

Danke besonders an Francis, durch deine Unterstützung können wir nach der „Corona-Pause“ unbesorgt unsere Reise fortsetzen. 

05.11.2020

Dieser Beitrag hat 4 Kommentare

  1. Franz

    Das Bild 05.11.2020 von euch macht mich glücklich
    Halte euch gesund und seit glücklich
    Francis

    1. Herr Hut

      Danke dir Francis,
      wir sind gerade sehr glücklich und genießen die Zeit in Moaña, bevor wir dann wieder aufbrechen werden 🙂

  2. Grit

    Hallo ihr beiden,
    es tut mir so wahnsinnig leid, dass ihr kurz vor Santiago unterbrechen musstet. Ich habe die letzten Wochen wirklich mitgefiebert, ob ihr es trotz der sich verschärfenden Situation überall schafft. Aber die Hauptsache ist, dass ihr gesund bleibt. Passt gut auf euch auf und wer weiß, wozu es gut war in diesem Moment inne zu halten. Ich wünsche euch eine schöne Zeit bei euren Freunden und sammelt nochmal alle Kräfte zusammen für die Zeit nach dem Lockdown.
    Liebe Grüße von der Ostsee
    Grit

    1. Herr Hut

      Hallo Grit,
      wir haben uns gerade wieder die Bilder von der Mosel angeschaut. Dabei haben wir unseren Freunden erzählt, dass du die zweite Pilgerin warst, mit der wir ein Stück des Weges gegangen sind.
      Auf dem Weg haben wir gelernt, dass man vieles einfach nicht planen kann. So verbringen wir jetzt die Zeit hier und wer weiß, vielleicht können wir im Dezember nochmal für drei Tage auf den Jakobsweg zurückkehren und bis nach Santiago laufen. Im Januar geht es dann weiter… 🙂
      Danke für deine Unterstützung und ganz liebe und warme Grüße aus dem angenehm milden Moaña

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